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Wer ein Haus baut, muss sich in die Akten sehen lassen

Bundesgericht entscheidet
Der Verein Seeuferweg wollte wissen, ob bei einem Bau am Thalwiler Seeufer alles korrekt ablief. Die Eigentümerin verwehrte die Akteneinsicht. Das Gericht schafft nun ein Präjudiz.
[Daniel Hitz für die Zürichsee-Zeitung. Publiziert: 05.07.2023]


Meistens beginnt der Rechtsstreit um den Neubau eines Hauses, bevor die Bagger auffahren. In diesem Fall ist das anders. Das strittige Haus steht bereits fertig gebaut am Thalwiler Seeufer. Und obwohl schon alles niet- und nagelfest ist, haben sich die Bundesrichter noch mit dessen Bau beschäftigt.
Doch von Anfang an: Als sich das Haus am See im Bau befand, lief Julia Gerber Rüegg an der Baustelle vorbei. Sie ist die Präsidentin des Vereins «Ja zum Seeuferweg», der sich für einen durchgehenden Uferweg am Zürichsee einsetzt. «Ich sah sofort, dass dieses Haus zu nahe am Wasser gebaut wird», sagt sie. Denn wer ein Haus am See bauen will, muss einen Abstand von 20 Metern zum Ufer einhalten. Mit Ausnahmebewilligungen – wie im vorliegenden Fall – ist aber auch eine Unterschreitung möglich.

Öffentlichkeit soll Einblick haben
Julia Gerber Rüegg befürchtete, dass unter diesen Umständen ein öffentlicher Weg zwischen Haus und Seeufer verunmöglicht wird. Sie wandte sich an den Kanton. Dort habe man ihr zugesichert, dass der Bau eines Uferwegs dennoch möglich sei. Es gebe eine Vereinbarung, dass die Eigentümerin Platz für einen solchen Weg schaffen müsse, wenn ein Projekt vorliege.
«Das wollte ich mit eigenen Augen sehen», sagt Gerber Rüegg. Deshalb beantragte sie Einsicht in die kantonalen Bewilligungen sowie in alle betroffenen Konzessionen. Hier nahm der Rechtsstreit seinen Anfang.
Kanton und Gemeinde bewilligten zwar die Einsicht in die teilweise geschwärzten Dokumente – die Eigentümerin rekurrierte dagegen aber bis ans oberste Schweizer Gericht. Sie befürchtete, dass der Verein das Wissen über ihre persönlichen und finanziellen Lebensverhältnisse missbraucht, um für den Bau eines Uferwegs zu werben. Gerber Rüegg sagt heute: «Es war nie die Idee, eine Person anzugreifen.»
Das Bundesgericht sieht die Bedenken der Eigentümerin als unbegründet. Dass der Verein eine Baubewilligung als Beispiel einer ufernahen Bebauung anführen könnte, könne kein Geheimhaltungsinteresse begründen, heisst es im Urteil. Dies, zumal die Unterlagen bereits einmal öffentlich zugänglich waren. Das Gericht hält zudem fest, dass es der Öffentlichkeit möglich sein muss, auch nachträglich die Praxis der Baubehörden zu kontrollieren.

«Es geht um Rechtssicherheit»
Die Unterlagen eingesehen hat Julia Gerber Rüegg trotz ihres Sieges vor Bundesgericht noch nicht. Es gehe ihr auch nicht um den Einzelfall in Thalwil – «sondern um das Vertrauen in den Rechtsstaat und die Rechtssicherheit».
Muss nun jeder Eigentümer in Ufernähe seine einstige Bewilligung offenlegen? «So weit wird es nicht kommen», sagt Julia Gerber Rüegg. Akteneinsicht sei immer mit Aufwand und Kosten verbunden. «Wir werden daher sehr zurückhaltend sein.» Wichtig ist ihr an diesem Urteil noch etwas anderes: «Es macht klar, dass Konzessionsverträge keine Geheimdokumente sind.» Diese Verträge, die der Kanton bei der Aufschüttung des Sees damals mit den Eigentümern der neuen Grundstücke abgeschlossen hatte, sind politisch schon lange umstritten. Der Verein «Ja zum Seeuferweg» hofft, dass die Einsicht in die historischen Verträge auch Klarheit betreffend Bau eines Uferwegs ermöglichen.


Der Verein „JA zum Seeuferweg“ ist ein parteipolitisch unabhängiger, ideeller Verein, der sich im Kanton Zürich dafür einsetzt, dass See- und Flussufer freigehalten und öffentlicher Zugang und Begehung erleichtert werden.
Dabei haben für den Verein der Naturschutz sowie die ökologische Aufwertung und die Revitalisierung von Gewässern hohes Gewicht.  Da der Zürichsee sehr stark verbaut und dicht besiedelt ist, ist es nötig, seine Ufer nach den Vorgaben des Bundes zu revitalisieren und gleichzeitig unter Berücksichtigung des Naturschutzes für Fussgängerinnen und Fussgänger entsprechend dem eidgenössischen Raumplanungsgesetz wieder zugänglich zu machen. 

Mehr Informationen dazu auf «uferinitiative.ch».